Seit einem Jahr tourt eine Ausstellung über russlanddeutsches Leben durch Russland und Deutschland. Die wichtigsten Stationen - im Überblick.
Kamele an der Wolga? Ist das wirklich in Samara? Und ist das tatsächlich Ernst Reuter? Diese Fragen stellten sich Besucher in jeder Stadt, in der die Wanderausstellung „Das deutsche Wolgagebiet. Eine unvollendete Fotogeschichte“ gezeigt wurde. Sehr zur Freude der Kuratoren ist die Fotoausstellung nicht nur bei Historikern und Nachkommen der Wolgadeutschen beliebt, sondern zieht auch ein breites Publikum an. Organisiert wurde die Ausstellung von der Moskauer Deutschen Zeitung (MDZ) und dem Internationalen Verband der Deutschen Kultur (IVDK) anläßlich eines doppelten Jubiläums.
Denn 2018 feierte die MDZ ihren 20. Geburtstag. Gleichzeitig fiel auch der 100. Jahrestag der deutschen Autonomie an der Wolga in das Jahr. Das ist von großer Bedeutung, schließlich ist die Geschichte der Deutschen in Russland ein zentrales Thema für die zweisprachige Zeitung. Ihre Seiten sind gespickt mit Reportagen über den Wiederaufbau zerstörter Kirchen, Interviews mit Deportierten aus der Wolga-Region und Artikeln über Exkursionen in Dörfer der früheren deutschen Kolonisten. Somit war das Jahr 2018 der perfekte Anlass, um verschiedene optische Eindrücke aus dem früheren Autonomiegebiet in einer Ausstellung zu sammeln. Die Autonomie währte zwar nur kurz, aber sie fiel in die ereignisreiche Zeit zwischen den Weltkriegen von 1918 bis 1941.
Ausstellung in Jubiläumsjahr der MDZ. Foto: IVDK
Die Vernissage in Moskau wurde zu einem großen Erfolg, dann ging die Ausstellung nach Saratow und reiste 2019 durch Deutschland. Die bisherige Route ist beeindruckend: Wiesbaden, Hanau, Berlin, Köln, und jetzt Dresden, wo die Ausstellung noch bis zum 15. Januar im Neuen Rathaus zu sehen ist. Für ein russisches Kulturprojekt, dessen Titel nicht die Worte „Bolschoi-Theater“ oder „Denis Matsuew“ enthält, ist das eine echte Errungenschaft. Aber Qualität ginge über Quantität, stellt die Verlegerin der MDZ, Olga Martens, fest. Hier sieht sie den wichtigsten Verdienst der Ausstellung. Dank ihr entstünden ganz neue Kontakte und Initiativen rund um die Geschichte von Russen und Deutschen.
Angeregt durch das Fotoprojekt untersuchten etwa die Schüler der Karl-Rehbein-Schule aus Wiesbaden die Geschichte der Zuwanderer aus ihrem Bundesland Hessen in die Wolga-Region. Ihre Ergebnisse konnten sie bereits in der nächsten Station in Hanau präsentieren. Das hatte dort einen unerwarteten Dominoeffekt. Denn die Schüler aus Hanau waren derart begeistert, dass sie eine Reise an die Wolga organisierten, um sich mit den Archiven der dortigen Heimatmuseen vertraut zu machen, aus denen die Fotos für die Wanderausstellung stammten.
Der 2. Bürgermeister der Stadt Essen, Franz-Josef Britz, begrüßt die Gäste des Kulturfestivals; links Dr. Martin Schneider, 1. Vorsitzender des Vereins Rhein-Ruhr-Russland e. V. Foto: Juliana Martens
Aber den größten offiziellen Erfolg feierte die Fotoausstellung in Essen. Als eines der ersten russlanddeutschen Projekte überhaupt schaffte sie es auf das Programm des jährlichen Kulturfestivals „Russland zu Gast in Essen“. Dieses wird durch die „Rhein-Ruhr-Russland“- Stiftung und mit Unterstützung des russischen Kulturministeriums veranstaltet – entsprechend hochrangig der Besuch. Von russischer Seite war der Generalkonsul Wladimir Sedych zu Gast und aus der Essener Politik der Bürgermeister Franz-Josef Britz.
Der Auftritt in Essen demonstriert einmal mehr die Stärke einer Wanderausstellung. Denn je nach den Interessen der örtlichen Besucher kann die Ausstellung angepasst werden. Dies macht es einfach, mit verschiedenen kulturellen Initiativen zu kooperieren und ein vielfältiges Publikum für die Geschichte der Russlanddeutschen zu interessieren. Als Nächstes wird die Ausstellung in München zu sehen sein. Auch dort wird einer der Höhepunkte sicherlich Ernst Reuter sein. Denn ja, es ist tatsächlich Ernst Reuter, der spätere Berliner Bürgermeister, der auf den Bildern der Ausstellung zu sehen ist. Im Jahr 1918 besuchte er die Kolonien an der Wolga und war sicherlich genauso überrascht wie die heutigen Besucher, als er zum ersten Mal die Kamele bei der landwirtschaftlichen Arbeit sah.
Igor Beresin
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